Archiv für den Monat: Mai 2018

Lieber gut geklaut als schlecht erfunden

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 24:
THE DAMNED – LIFE GOES ON (1982)

Lasst uns kurz über eine Situation reden, von der ich mit standfester Überzeugung behaupten möchte, dass sie bestimmt nicht nur mir regelmäßig widerfährt. Irgendwo setzt im Hintergrund dieses eine Bassgitarrenriff ein, das jedem Menschen  der westlichen Welt geläufig sein sollte. Und trotzdem, auch nach gefühlt tausendmaligem Hören, frage ich mich für einen ganz kurzen Moment, bevor sich die ganze Sache sehr schnell aufklärt: „Ist das jetzt Under Pressure oder ‚Ice Ice Baby‘?“ Spielt die Eckkneipe meines Vertrauens jetzt den zeitlosen Rock-Klassiker von Queen und David Bowie oder doch die sieben Jahre jüngere, auf eine seltsame Art ebenfalls zeitlose HipHop-Nummer von Vanilla Ice, in der ein Sample des Basslaufs vom Queen-Song die Basis bildet? Je nach Alter/Generation, Geschmack, musikalischer Sozialisation oder Trash-Schmerzgrenze dürfte man geprimt sein, instinktiv zuerst entweder an das eine oder das andere Lied denken zu müssen.

Schnitt, Szenenwechsel. In meiner WG kann es des Öfteren ein wenig lauter werden, aber eher selten auf musikalische Art. Zumindest war das bis vor kurzem so, aber in letzter Zeit greift ein Mitbewohner wieder vermehrt zur Gitarre. Am häufigsten schallt derzeit das Eingangsriff von NirvanasCome as You Are“ durch die Gänge. Und jedes Mal, wenn ich diese Melodie höre, muss ich immer zuerst an den Song „Eighties“ von Killing Joke denken, welcher dem Nirvana-Song acht Jahre vorausgeht. Die Ähnlichkeit der beiden Gitarrenmelodien entging der Musikwelt damals nicht und löste rund um die Veröffentlichung des Nirvana-Songs einige Kontroversen aus. Sowohl der Fall Queen vs. Vanilla Ice als auch der Fall Nirvana vs. Killing Joke sind interessante und recherchierenswerte Geschichten voller widersprüchlicher Aussagen, offener Fragen und Ambiguitäten, die jeder für sich nachlesen kann und auf die ich jetzt nicht unbedingt im Detail eingehen muss.

Jedenfalls habe ich meinen Mitbewohner auf besagte Ähnlichkeit hingewiesen und er war doch recht erstaunt über dieses nette Stück Musiktrivia. Ich staunte aber ebenfalls nicht schlecht, als ich die ganze Thematik daraufhin nochmal nachlesen wollte und auf etwas stieß, was mir neu war: Noch zwei Jahre älter als der Killing Joke Song ist ein Stück der britischen (Post-)Punker The Damned namens „Life Goes On“, welches wieder mit exakt jener Gitarrenmelodie beginnt. Während solche Debatten über Ähnlichkeiten in Songs öfters auftauchen, kann man hier fast schon nicht mehr von „Ähnlichkeiten“ sprechen. Bandmitglieder von Killing Joke streiten jedoch ab, den Song vorher gekannt zu haben. Unterm Strich habe ich durch diese ganze Geschichte jedenfalls ein Lied kennengelernt, welches sich mit seiner melancholisch-verträumten Ader direkt in mein Ohr und Herz eingenistet hat und innen weiterrotiert, wenn ich die Repeat-Funktion schon längst deaktiviert habe.

Abschließend noch eine weitere Kuriositätenperle obendrauf: Die norwegische Gothic Rock Band Garden of Delight bediente sich 1984 auf „22 Faces“ ebenfalls bei besagter Eingangsmelodie. Somit sind wir schon bei drei (bzw. vier) Songs aus dieser Ära mit demselben Riff angelangt. Und wenn man tief genug gräbt stößt man gewiss auch auf weitere Beispiele. Vielleicht sind der Leserschaft sogar einige bekannt?

Auf zu neuen Ufern

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 23:
NICK LOWE – TOKYO BAY (2018)

Der Jesus of Cool tut sich mit einer Lucha-Libre-maskierten Backing-Band zusammen? Was ist denn jetzt los?

Nick Lowe produzierte die ersten paar Elvis-Costello-Alben und ist selbst seit einer halben Ewigkeit als Pub-Rock- und Power-Pop-Künstler unterwegs. Den Titel Jesus of Cool verlieh er sich selbst gleich mit seinem ersten Album (1978). Mein erster Kontakt war der Song „So It Goes“, später habe ich aber „Heart of the City“ als meinen Favoriten entdeckt. Sein bekanntester Hit dürfte aber wohl doch „Cruel to be Kind“ sein, die Nähe zum wunderbaren Elvis Costello ist hier besonders gut hörbar.

Und jetzt zur zweiten Komponente.

Die Instrumental-Band Los Straitjackets ist hauptsächlich in einschlägigen Surf-Rock-Kreisen bekannt. Sie wurde bereits vor der Post-Pulp-Fiction-Surf-Musik-Welle gegründet (puh, das war jetzt aber nicht schlecht), hat sich gleich wieder getrennt und dann in der Post-Pulp-Fiction-Ära „reunited“ – und übt ihr Handwerk am liebsten in Anzügen und Lucha Libre-Masken aus. Ab und zu ist Band um Frontmann Daddy-O Grande auch mit anderen Künstlern unterwegs, eine für mich bis jetzt leider noch nicht ganz so prickelnde Erfahrung, vielleicht mit der Ausnahme einer Aerobic-DVD (!) mit den World Famous Pontani Sisters, einer Burlesque-Tanz-Gruppe.

Das ändert sich aber mit diesem Jahr: Los Straitjackets sind jetzt nämlich die Backing-Band von Nick Lowe – und zusammen spielen sie Skiffle
Das wird kurios, aber über Lonnie Donegan, den King of Skiffle, gibt es mal gesondert eine Abhandlung. Ich find’s jedenfalls stark. Der Text zum offiziellen YouTube-Video meint: „Nick shows that he’s still the Jesus of Cool and isn’t afraid to rock the boat“ – und das finde ich recht passend.