Archiv für den Monat: April 2018

Sixteen Miles High. Oder: So muss Cover!

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK(S) DER WOCHE, # 22:
THE BYRDS – EIGHT MILES HIGH (1966)
HÜSKER DÜ – EIGHT MILES HIGH (1984)

Was macht eine gute Coverversion aus? Irgendein kluger Kopf, der von einem anderen klugen Kopf im Musikexpress zitiert wurde (wo ich wohl nicht ganz so kluger Kopf das Ganze dann gelesen habe), meinte einmal sinngemäß, eine gute Coverversion müsse entweder ganz nahe am Original sein oder aber völlig anders klingen.

Tatsächlich zeichnen sich viele mäßige bis schlechte Coverversionen (und daran herrscht nun wahrlich kein Mangel) dadurch aus, dass sie entweder einzelne Aspekte des Original besonders (über)betonen oder aber meinen, unbedingt ein bestimmtes Einzelelement hinzufügen zu müssen. Das resultiert dann oft in zusätzlichem Pathos, „kraftvollerem“ oder „souligerem“ Gesang, fetteren Gitarren, dickerer Produktion oder dem Einfügen von ein paar unmotivierten Beats. Und am Ende merkt man dann nur allzu oft, dass auf diese Weise dem Original rein gar nichts hinzugefügt wurde.

Ein Paradebeispiel für eine höchst gelungene Coverversion, die eindeutig aus Kategorie zwei stammt (= klingt völlig anders), soll im Rahmen des heutigen Tracks der Woche präsentiert werden. Aber zuerst ein paar Worte zum Original:

Denn „Eight Miles High“ (1966) von den Byrds ist in vielfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Track. So gilt er vielen als eines der ersten – wenn nicht DAS erste einflussreiche – Beispiel für das bis heute vielgeliebte und wirkmächtige Genre des Psychedelic Rock (wobei zugleich, vor allem in den Gesangsharmonien, auch die Verwurzelung im zeittypischen Folk-Rock noch sehr deutlich zu spüren ist). Generell handelt es sich hier um einen jener kostbaren Songs, die tatsächlich exemplarisch für ihre Zeit stehen – in diesem Fall für das allgemeine Streben nach neuen Erfahrungen, für die Suche nach unbekannten Klangwelten, für das Interesse an anderen Kulturkreisen, für einen musikalischen Entdeckerdrang, für ein globales „Kalifornien“-Feeling, das mit Geographie nur wenig zu tun hat. Ach ja, und natürlich auch für die bewusstseinserweiternden Drogen – was der Nummer einst sogar einen Radiobann in den USA bescherte.

Ganz konkret manifestierte sich diese Neue Offenheit (um mal ein griffiges Schlagwort zu kreieren) im Fall von „Eight Miles High“ in den ungewöhnlichen Klangfarben, die auf die Pophörer der damaligen Zeit wirklich unerhört und revolutionär gewirkt haben müssen: Zentralen Einfluss auf die Arrangements übten nachgewiesenermaßen der modale, futuristische Jazz von John Coltrane und die Musik des indischen Sitar-Gurus Ravi Shankar aus – beide liefen damals im Tourbus von Gene Clark, Jim (= Roger) McGuinn und David Crosby auf heavy rotation. In „Eight Miles High“ versuchte McGuinn unter anderem, das freitönende Saxofonspiel von Coltrane auf seiner 12-saitigen Rickenbacker-Gitarre nachzuempfinden – was besonders im ikonischen, grandios disharmonischen Solo zum Tragen kommt. (Auf der B-Seite „Why“ wiederum sollte die Gitarre wie eine Sitar klingen, hat mir Wikipedia erzählt).

Zusammen mit den im selben Atemzug anspielungsreichen UND mystischen Lyrics (die von einem Flug der Byrds nach England und ihren dortigen Tourerlebnissen inspiriert waren; die erwähnte „rain grey town known for its sound“ ist das London zu Zeiten der British Invasion) ergibt das einen der schönsten und zugleich rätselhaftesten Songs der Hippie-Ära.

Live wurde das Lied, auch das zeittypisch, gerne in ausufernde, bis zu 15 Minuten lange Jams überführt, zu denen es sich bestimmt wunderbar allerlei fantasieanregendes bzw. -benebelndes Zeug rauchen und einschmeißen ließ. Als Beispiel möge die folgende, schon aus der Post-Hippie-Ära stammende Instrumentalversion (1970) dienen, die die Byrds auf der Höhe ihrer hypnotisierenden Meisterschaft zeigt: virtuos, aber zum Glück nicht pompös.

Trotzdem kann man angesichts des endlosen Gejammes auch irgendwie nachvollziehen, wieso gut ein halbes Jahrzehnt später fast zwangsläufig die Punk-Revolution in den USA und danach in England ausbrechen musste, was sie angetrieben hat, warum es nach der psychedelischen Revolution dringend eine neue brauchte: hart und laut, direkt und brachial, bitter und bissig, (mindestens acht) Meilen weit entfernt vom Summer of Love.

Kinder dieses schäbigen, zugleich befreienden Punk-Spirit waren auch Hüsker Dü, 1979 in St. Paul, Minnesota, formiert – und heute weithin als eine der bedeutendsten 80er-Jahre-Bands zwischen Hardcore Punk, Noise Rock und dem aufkeimenden Alternative Rock anerkannt.

1984 legten Bob Mould, Grant Hart und Greg Norton eine atemberaubende Neudeutung von „Eight Miles High“ vor: die Gitarren verzerrt und übersteuert, Moulds Gesang urschreiartig herausgebrüllt und kaum zu verstehen, die Produktion rau und lo-fi, die Energie roh und wild, der Gesamteindruck jener von Verzweiflung und einer emotionalen Intensität, die fast alles, was sich heute „emotional“ nennt (oder vor ein paar Jahren gar „Emo“ schimpfte), nur als selbstmitleidiges, hohles Gepose entlarvt.

Dass Hüsker-Dü-Hörer offenbar sensible, intelligente Menschen sind (ähnlich wie Mastermind Bob Mould selbst, der bis heute tolle Soloalben abliefert), zeigt sich übrigens sogar in den Kommentaren auf YouTube, deren Lektüre in diesem Fall ausnahmsweise lohnenswert ist. Zur kongenialen Coverversion von „Eight Miles High“ heißt es dort unter anderem:

Somehow this burst of noise captures the emotion of this tune so well.

A way more realistic take on the drug issue. Not everyone has good trips. This is the king god hell version of a BAD trip.

Just the primal screaming in it sums it up for me. I think Bob also has had an issue with the whole „Summer of Love“ thing …

Auch hierzu möchte ich euch noch eine feine Liveversion (1987) ans Herz respektive Ohr legen. Mit dem ungleich klareren Gesang ist sie freilich schon näher am Alternative Rock ihrer Zeit als am Lofi-Noise der „Studioversion“. Aber Hüsker Dü hatten eben immer auch ein Herz für große Melodien unter all dem Lärm. Und vielleicht ist die ganze vielbeschworene ideologische Gegnerschaft zwischen „Hippies“ und „Punks“ ohnehin eine sehr gestrige Betrachtungsweise. Am Ende zählt ja doch nur, dass Musik etwas in uns berührt und auslöst. Klinge ich jetzt wie ein Hippie?

Doch das letzte Wort soll einmal mehr einem YouTube-Nutzer gehören, der im Bezug auf Hüsker Düs alles mit- und niederreißende „Eight Miles High“-Version lakonisch meint:

As covers go this pretty much covers it!

Von drahtig bis sphärisch. Zwei Wege zur Euphorie

Konzertberichte: KREISKY (Support: TRACKER), 13. April 2018, PMK Innsbruck
MOLLY, 19. April 2018, Die Bäckerei, Innsbruck

Zwei österreichische Bands, die auf Y enden, zwei euphorisierende Konzertabende. Das war es aber auch schon wieder mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Auftritten von Kreisky und Molly in Innsbruck. Und das liegt nicht nur an der unterschiedlichen getränketechnischen Ausgestaltung dieser Abende meinerseits (einmal Bier – oje, zuviel; einmal Gingerbeer – ui, zu scharf), sondern manifestierte sich natürlich vor allem auf der musikalischen und atmosphärischen Ebene.

Kreisky begeisterten in der PMK mit ihrem gleichermaßen eigenwilligen wie eigenständigen Sound irgendwo zwischen Post-Punk und noisigem Rock, bei dem mir gleich eine ganze Reihe von Adjektiven durch den Kopf schießt: drahtig und schlank, (scharf-)kantig und zackig, fiebrig und quecksilbrig, glasklar und kühl, niemals aber schwerfällig und „heavy“. Der provokante Titel des aktuellen Albums, „Blitz“, bringt das Ganze eigentlich bestens auf den Punkt.

Das größte Pfund, mit dem Kreisky wuchern können, ist genauso drahtig und schlank wie ihr Sound – nämlich Sänger Franz Adrian Wenzl: Er ist nicht nur ein Texter mit hohem Wiedererkennungswert, der sich herzlich wenig um übliche Vorgaben in Sachen Reim und Rhythmik schert und gerne ungelenk und abgehackt über die Verszeile hinausstolpert, sondern zugleich auch ein grandioser Frontmann. Und „grandios“ ist hier durchaus auch im Sinne von überheblich gemeint: Denn in Zeiten, in denen sich allzu viele Musiker „authentisch“, „bodenständig“ und „normal“ geben – und dabei meist nur langweilig, gefällig und bieder sind -, tritt Wenzl mit gesunder, erfrischender Arroganz vor sein Publikum.

Ob als sexy tänzelnder Gockel, als bitterböser, verbitterter Zyniker (als der er in den Texten häufig auftritt) oder als am Kabarett geschulter Conférencier zwischen den Songs (es handelt sich hier immerhin um den leibhaftigen „Austrofred“) – der Mann hatte sein Publikum von Anfang an fest im Griff. Und Kreisky waren an diesem Abend in der restlos ausverkauften und entsprechend proppenvollen PMK sowieso die richtige Band am richtigen Ort. Bier und Schweiß flossen in Strömen, das bestens gelaunte Publikum ließ sich nur allzu gerne mitreißen.

An mitreißenden Songs, die gerade für die Livesituation wie gemacht scheinen, mangelt es bei Kreisky ja wirklich nicht. Zu den Höhepunkten – in einem Set ohne Ausfälle – zählten die tragikomische neue Versager-Hymne „Veteranen der vertanen Chance“ (in der Wenzl die Lottozahlen inklusive Zusatzzahl aufzählt – die Quittung zum Lottoschein hat der Ich-Erzähler selbstverständlich verloren), das textlich wie musikalisch unerbittliche „Vandalen“ („Wir sind alle Kannibalen / Wir sind alle keine Menschen mehr / Wir sind alle Vandalen / Wir sind viel zu junge Mädchen“), das vergleichsweise fast schon melancholisch-sanfte „Pipelines“ und natürlich das schneidende, gallige „Asthma“, das von meinem Schreibclub-Kollegen und Konzertgenossen Klippo erfolgreich eingefordert wurde. Eine giftigere Abrechnung mit der oder dem Ex wurde hierzulande noch nicht geschrieben:

„Und du wirst es nicht glauben / Aber seit du fort bist / Ist mein Asthma so gut wie verschwunden / Ist mein Asthma weg“.

„Ich habe oft gesagt, ich mag dich so wie du bist / Aber du musstest dich ja verändern / Von mir aus hättest du dich nicht verändern müssen / Verbessert hast du dich dadurch nämlich nicht“.

Mindestens genauso gut und ebenso gnadenlos – brandneue Songs wie „Ein braves Pferd“ (der sarkastische Refrain „Ich bin ein braves Pferd“ zierte übrigens auch die aktuelle T-Shirt-Kollektion am Merch-Stand) oder das mit schäbigen Synthies unterfütterte „Ein Depp des 20. Jahrhunderts“, in dem das lyrische Ich mit dem unaufhaltsamen Verschwinden von Gegenständen, Gewissheiten und Gewohnheiten hadert, letztlich also mit dem Altern und dem bitteren Gefühl, dass früher alles schöner und einfacher war und einen die Realität längst überholt, die Welt schon lange abgehängt hat:

„Und Autos und Rauchen und Fernsehen und CD-Sammlungen / das ist alles weg / Der Lärm und die Mädchen und unser ganzes schönes Europa / Das ist alles weg. Jetzt stehe ich da / Ein Depp des 20. Jahrhunderts“.

Serviert werden diese schwer bekömmlichen Botschaften, in denen das Persönliche und das Gesellschaftlich-Politische unauflöslich zusammenkleben, aber eben in knackigen, kurzen, hochenergetischen Vitaminbomben von Songs – und der Effekt ist letztlich ein tröstlicher und euphorisierender.

Dass das in der PMK so besonders gut klappte (und es sich Kreisky sogar leisten konnten, Weltnummern wie „Selbe Stadt, anderer Planet“ zu spritzen), war sicher auch ein Verdienst von Tracker, die an diesem Abend eigentlich keine Vorband, sondern ebenbürtiger Opening-Act waren. Auch bei ihrem Auftritt war es schon knallvoll, auch hier forderte das Publikum am Ende begeistert Zugaben ein.

Mit seinem sperrigen, kantigen, zugleich treibenden und konzisen Gitarrensound irgendwo zwischen Stoner Rock, Grunge und psychedelisch-experimentellen Spinnereien im Geiste von, zum Beispiel, „King Gizzard & The Lizard Wizard“ passte das Tiroler Trio sogar noch besser zu Kreisky, als ich im Vorfeld gedacht hätte.

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Tierlieb

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 21:
ANIMAL COLLECTIVE – CUCKOO, CUCKOO (2007)

Einem ambitionierten Quiz-Spieler und -Master sollten derlei Fauxpässe nicht passieren:

Letztens entdeckte ich in Vorbereitung einer Frage einen Live-Mitschnitt einer britischen Benefiz-Sendung aus dem Jahr 2013, in dem die ehemaligen (?) Take-That-Mitglieder Gary Barlow und Robbie Williams ihre Cover-Version von Barry Manilows Klassiker „Could It Be Magic“ sangen – und zwar gemeinsam mit Barry Manilow am Flügel. Ich dachte: „Sicher, der gute Barry sieht ein bisschen wie geschmolzenes Plastik aus oder wie der Formwandler Odo, wenn er sich sehr lang nicht mehr in seinen flüssigen Zustand verwandelt hatte, aber so schlimm, dass er schon wenige Jahre später sterben musste, sieht er nun auch wieder nicht aus.“

Hä? Sterben? Barry Manilow tot? Nein, ihr habt nichts verpasst. Mein Fehler. Beim Wikipedisieren entdeckt.

Wie konnte es aber sein, dass ich den „Copacabana“-Sänger Six Feet Under wähnte? Er war doch jüngst irgendwann mal in den Medien. Und wenn alternde Musikstars, die ewig keinen Hit mehr hatten, noch einmal in den Schlagzeilen auftauchen, dann ist die Wahrscheinlichkeit erdrückend hoch, dass sie gerade das Zeitliche gesegnet hatten. Doch Manilow war nicht gestorben, er hatte sich einfach nur geoutet! You don’t say.

Bei „Could It Be Magic“ ist Manilow „nur“ Co-Songschreiber neben dem polnischen Klassik-Nationalschatz Frédéric Chopin. Der hatte mit dem „Prelude in C Minor, Opus 28, Number 20“ (Griffiger Songtitel!) die Basis für Manilows Schmonzette geliefert. Fehlt nur noch, dass Robbie eines Hit-verlassenen Tages einmal „I like Chopin“ nachsingt.

Musikalisch viel näher liegt mir ein anderes Beispiel eines Werks aus der Klassik, das die Basis für einen modernen Song geliefert hatte und mir ebenfalls bei einer Quiz-Recherche unterkam. Dabei war „Cuckoo Cuckoo“ vom Animal Collective aus dem Meilenstein „Strawberry Jam“ schon in meinen 2007er-Jahrescharts in den Top 10. Dass das durchgehende Sample aus Franz Liszts „Liebestraum“ stammte, schoss mir aber erst bei einem langen, meditativen Nachmittags-Spaziergang vor einem Weltquiz, bei dem ungarische Komponisten die musikalische Untermalung bildeten. Enjoy.