Archiv für den Monat: Dezember 2017

Going out with a bang: Ein buchstäbliches Samplefeuerwerk!

Um es in guter alter und höchst kreativer journalistischer Tradition zu sagen: Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu und Silvester steht vor der Tür. In unseren Breitenkreisen bedeutet das für die meisten Leute, dem über die Weihnachtstage angefressenen Winterspeck zusätzlich noch ordentliche Mengen Alkohol beizumengen, sich Vorsätze für mindestens 365 Tage zu machen, welche höchstens 14 Tage anhalten, und diesen Schritt in das eher kurzlebige neue Leben mit Böllern, Raketen und allen anderen Wundern der Pyrotechnik zu feiern. Man kann zu Feuerwerk stehen, wie man will, und es gibt sicher genug, was man daran scharf kritisieren kann, von Umweltverschmutzung bis hin zu in Panik versetzten Haus- und Wildtieren. Aber schön anzusehen sind sie, darauf lasse ich nichts kommen.

Zusätzlich zum optischen Aspekt sind Feuerwerke aber auch ein akustisches Phänomen. Raketen pfeifen, quietschen, prasseln, knallen, sie explodieren scharf und unmittelbar oder dumpf und als vielfaches Echo widerhallend. Ebenso vielfältig sind die möglichen Assoziationen zu diesem Geräuschtumult, vom nostalgischen Schwelgen an unvergessliche Abende mit den Liebsten bis hin zu Analogien zu Kriegs- und Schlachtenlärm. Die meisten Leute dürften aber eher feierliche Assoziationen zum Thema Feuerwerke haben, und auch die Musikwelt bedient sich dieser Bilder und Stimmungen gerne.

Songs, in deren Songtiteln oder -Texten sich Verweise auf die wohl ästhetischste Art der Geldverbrennung finden, gibt es zur Genüge. Ich persönlich denke sofort an den entsprechenden Song von Animal Collective, oder an die Band Explosions in the Sky, welche als instrumentale Truppe zwar schlecht über Feuerwerke singen können, diese aber stets im Bandnamen mittragen. Die meisten anderen denken wohl als erstes an den Song von Katy Perry, und ich weiß jetzt schon, dass er mich nun den restlichen Tag über als Ohrwurm verfolgen wird. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen, und für Interessierte bietet das Internet auch bereits einige Auflistungen von Songs mit „Fireworks“ im Titel. Aber in welchen Songs sind Feuerwerke auch tatsächlich enthalten? Tracks, in denen das Raketengetöse als Sample zu hören ist, sind schon etwas schwerer zu finden, aber nichts desto trotz gibt es einige nette Beispiele und jenen Stücken ist auch dieser Artikel hier gewidmet. Allerdings: Nicht jeder der  gezeigten Tracks schmiegt sich passend in eine feierliche Silvesterplaylist ein und manche Stücke dürften für einige sogar regelrecht ohrenfeindlich sein – wie es für manche Leute eben auch bei echten Knallkörpern der Fall ist.

Weiterlesen

Vom Hundertsten ins Tausendste. Oder: Die geballte Macht der Assoziation. Zwei Hörabende

Wie kommt man von Schweizer Elektropop zu Noiserock aus Berlin? Oder vom Black Rebel Motorcycle Club zu Suzanne Vega? Vom vertrackten Avantgarde-Hardcorepunk von Nomeansno zu einer bizarren Ösi-Version von „White Rabbit“? Oder von sphärischem Dreampop zu Wolfgang Ambros und wieder retour?

Sehr einfach: So etwas geht nur bei einem Hörabend in geselliger Runde, also ab zwei Musiknerds aufwärts. Denn das menschliche Gehirn geht schon bei jedem Einzelnen seltsame Wege. Wenn aber mehrere Musikenthusiasten zusammensitzen und das Bier ebenso frei fließt wie die Gedanken, dann greift sie erst so richtig, die geheimnisvolle Macht der Assoziation. Dann kommt man vom Hundertsten ins Tausendste und vielleicht irgendwann wieder zurück zum Ersten. Oder auch nicht.

Ausgerüstet mit jeder Menge Vinyl, CDs, Spotify, YouTube und, ja, hin und wieder sogar einer Musikkassette reist man munter durch die Jahrzehnte und Stile – und lässt sich am besten einfach treiben. Wie so etwas ablaufen kann, zeigen die folgenden Aufzeichnungen der zwei jüngsten Hörabende bis -nächte im gastlichen Heim von Bloggründer Dave.

Sollte die Protokollführung da und dort Lücken aufweisen oder die Reihenfolge bisweilen etwas durcheinander geraten sein, bitte ich, gnädig darüber hinwegzusehen – schließlich wird das Mitschreiben mit steigendem Durst nicht gerade einfacher. Aber hier gilt, was schon Faith No More wussten: Oh it’s a dirty job / but someone’s gotta do it.

Hörabend am 1. Dezember 2017:
Die musikalische Reise führte zunächst „Von Bullerbü nach Babylon“ – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Kollege Dave hat nach dem vorhergehenden Hörabend, bei dem wir zufällig über das großartige „Hubschraubereinsatz“ von Foyer des Arts gestolpert waren (da hatte das lästige Autoplay von YouTube endlich mal sein Gutes), nicht lange gefackelt und sich den dazugehörigen Albumklassiker aus meinem Geburtsjahr 1982 gleich auf Vinyl besorgt. Beim Hören zeigte sich, dass die Avantgarde/Trashpop/Dada-Band rund um den Dichter Max Goldt neben ultraschrägen NDW-Experimenten auch düstere New Wave/Postpunk-Sounds beherrschte („Olympia“). Und bei Songtiteln wie „Familie und Beatmusik“ kommt sowieso große Freude auf.

Weiter ging es in die Schweiz zu den Elektro-Pionieren Yello rund um den schmierig-eleganten Schnauzbartträger Dieter Meier. Dass die berühmte Auftrittsmelodie, zu der der Duffman bei den Simpsons sein mit Bierdosen umgürtetes Becken rhythmisch vor und zurück schiebt („Oh Yeah“), aus ihrer Feder stammt, war mir ebenso neu wie die Tatsache, dass diese Band bis heute verdammt frisch klingt.

Über den psychedelischen Wahnsinn von King Gizzard & The Lizard Wizard und die eleganten Tame Impala arbeiteten wir uns schrittweise Richtung Hard- und Bluesrock vor, etwa zur heute völlig obskuren britischen Hardrock-Formation Stray (eine Entdeckung aus der Obwaller’schen Vinyl-Schatzkiste, die offenbar vor den Ohren des Vaters keine Gnade fand) bis hin zu aktuellen Formationen, die keine einschlägiges Sound- und Bühnenklischee auslassen (Rival Suns oder The Weight aus Österreich).

Nach der ersten Rauchpause, die ich mit Folk- und Psychedelic-Klängen vom sehr schönen neuen Rolling-Stone-Sampler übertauchte (Tony, Caro & John, Nick Garrie) gab Hausherr Dave (Hashtag: „Do hatt i aa a Plottn dazua …“) Einblick bzw. Einhör in seine umfangreichen Bestände aus den Haupt-, Neben- und Nebennebenstraßen der Rockgeschichte, von Hank Davis bis Roky Erickson. Alleskönner Chuck Prophet wurde mit Green-on-Red und Solowerken gewürdigt, ehe der mir zuvor gänzlich unbekannte Mel Tormé aufzeigte, was unter klassischer Jazz-Crooner-Eleganz zu verstehen ist.

Der Übergang zu Nomeansno (auch schon Fixstarter beim Hörabend zuvor) hätte nicht abrupter ausfallen können. Aber, hey!, sanfte Übergänge gibt’s bei den kanadischen Noise/Hardcore/Progressive-Punk/Mathrock-Genies erst recht nicht. Dafür aber atemberaubende Stil-, Takt- und Stimmungswechsel und eine ungezügelte, raue Energie, die einen auch beim wiederholten Hören jedes Mal umbläst. (Nur über die Frage, ob die Bässe und Rhythmen bei Nomeansno nun doch irgendwie „funky“ klingen oder nicht, konnte sich die Zuhörer-Runde bis zum Schluss nicht einigen …)

Weiter ging die muntere Fahrt mit kräftigem Rock von Neuseeland (The Datuns) bis Österreich (Baguette), beim Runterkommen half u. a. der 70er-Jahre-R’n’B von Creative Source. Nach dem theatralischen Voodoo-Wahnsinn von Screamin‘ Jay Hawkins (von Hörabend-Teilnehmer Joe treffend als „ein schizophrener Zirkusdirektor auf Acid“ charakterisiert) ging es in die nächste Rauchpause, in der ich mir verführerische französische Elektro-Chansons von L’Imperatrice oder auch rauen Postpunk von meinen alten Helden Mission Of Burma gönnte – und schon mal den Weg für das amerikanische Folkrock-Wunderkind Kevin Morby freimachte.

In der Folge wurden u. a. unerwartete musikalische Parallelen zwischen dem Black Rebel Motorcycle Club und der großen Songwriterin Suzanne Vega deutlich, ehe es mit Black Crack und Justice Hahn besonders düster und räudig-schön wurde.

Die Wendungen wurden in Folge immer schräger, wie es halt so ist, wenn man „under the influence“ durch die Musikgeschichte rast: Da liegen der Soundtrack zum Dennis-Hopper-Film „The Hot Spot“ – mit Giganten wie John Lee Hooker, Miles Davis und Taj Mahal – und das wüste Gitarre-Schlagzeug-Inferno des deutschen Noise-Duos Dÿse plötzlich nur noch einen Häuserblock voneinander entfernt. Da biegt unvermittelt Ska-Pionier Prince Buster um die Ecke – und an der nächsten Kreuzung tauchen dann auf einmal die New Yorker Alternative-Hip-Hop-Helden A Tribe Called Quest auf, nur um umgehend wieder von Gitarrenmeister Jeff Beck abgelöst zu werden, der sich vor Stevie Wonder verneigt …

Weiterlesen