Kopfüber im Schlagertraum

Konzertbericht: Fuzzman & The Singin Rebels, Weekender Club Innsbruck, 2. Dezember 2016

Schlager hat in der alternativen Popkultur einen denkbar schlechten Ruf. Er gilt als schmierig, verlogen, kommerziell, konformistisch und reaktionär. Und das völlig zu Recht. Jede einzelne Sekunde der einschlägigen Schlagerparaden im TV bestätigt die Vorurteile.

Doch da ist noch eine andere Dimension im Schlager – im guten Schlager wohlgemerkt (und ja, den gibt es). Gerade in den (über)großen Gefühlen und Melodien des Schlagers, in seiner Befreiung von jedem Coolness-Zwang, in seiner emotionalen Rückhaltlosigkeit kann sich etwas Bewegendes, Tiefes und Wahrhaftiges verbergen. Guter, richtig verstandener Schlager geht volles (Gefühls-)Risiko, lässt nichts übrig, wohinter man sich verstecken kann. Diese Art von Schlager kann, wie zum Beispiel auch gute Countrymusik aus den USA, beinhart, tieftraurig und voller Abgründe sein. Ja, im Schlager lässt sich in besonderen Momenten vielleicht sogar ein utopisches Element, die Illusion (?) einer besseren Welt, entdecken.

Genau dieses utopische, letztlich irgendwie politische Element hat auch der Kärntner Herwig Zamernik, besser bekannt als Fuzzman sowie als Mitglied der Klagenfurter Popmelancholiker Naked Lunch, im Schlager aufgespürt. Und sich, statt halbe Sachen zu machen, gleich kopfüber ins Genre hineingestürzt. Das wurde auch im Weekender-Keller zu Innsbruck, Endstation einer Kurztournee, die Fuzzman und seine Singin Rebels zuvor nach Wien, Berlin, Leipzig oder Zürich geführt hatte, von der ersten Sekunde an deutlich. An diesem Abend setzte es nämlich nicht alibihalber ein, zwei Schlager, sondern praktisch ein reines Schlagerprogramm – wenn auch eines mit einer Vielzahl an Falltüren und unerwarteten Wendungen.

Bereits rein äußerlich war die Band – die man auf dem Tourplakat mehr oder weniger erhaben auf Haflingern einreiten sieht – ein absoluter Genuss: Vier Männer in den sogenannten besten Jahren, mit Schlaghosen (im Fall des Frontmanns natürlich ganz in Weiß gehalten), offenen Hemden, wehenden 70er-Jahre-Mähnen und Bärten, die von der Geschmackspolizei eigentlich längst verboten wurden.

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Immer wieder wurde das bestens geölte Quartett zudem vom unvergleichlichen „Pfleger Mike“ verstärkt – Begleitmusiker, Merchandise-Beauftragter und aufopfernde Pflegekraft in Personalunion. „Schließlich“, so Fuzzman, „sind wir nicht mehr die Jüngsten“. Mit Rotzbremse und Haarvorhang machte Pfleger Mike jedenfalls den Eindruck, als wäre er gerade einem windigen 70er-Jahre-Softporno oder der letzten Folge von „Soko Donau“ entsprungen. Das galt optisch auch für Allzweckwaffe Richard Klammer (Schlagzeug, Trompete und Chorgesang), den Fuzzman mit den Worten „100 Kilo purer Sex“ vorstellte, mit der Ergänzung versehen, dass so „auch der Titel unserer Weihnachtssingle“ lautet.

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Man sieht schon, an diesem Abend gab es viel zu lachen. Aber mit dem Schlager meinen es Fuzzman und seine singenden Aufständischen dennoch ernst. Sie greifen das Genre zwar mit Ironie und Augenzwinkern auf, aber ohne jeden Zynismus, also ohne das Genre aus der ach-so-coolen Independent-Ecke heraus vorzuführen und lächerlich zu machen. Ihre Form von Schlager ist zwar doppelbödig, verzichtet aber, so widersprüchlich das klingen mag, zugleich auf Netz und doppelten Boden. Das muss man erst einmal zustande bringen!

Käsige Synthie-Sounds, Zupfbass, Beserlschlagzeug, soulige Männerchöre, hemmungsloser Harmoniegesang: Alles, was scheinbar gar nicht geht, geht auf einmal doch, wenn man sich erst einmal vom Coolness-Diktat gelöst hat. Mit anderen Worten: Fuzzman und die Singin Rebels spielen die scheinbar uncoolste Musik des Planeten, verbunden mit dem scheinbar uncoolsten Outfit – und den entsprechenden Gesangsposen und Tanzeinlagen -, sie tun das aber so selbstverständlich und souverän, dass es am Ende doch wieder verdammt cool wirkt.

Bei Fuzzman, Inkarnation 2016, gibt es im Grunde nur zwei Arten von Songs: einerseits den Schleicher (vulgo Tränenzieher, Schmachtfetzen oder, wie man in Teilen Österreichs früher so schön sagte, L’amour-Hatscher), andererseits die schwungvolle Disco-/Party-/Tanznummer. Und mehr brauchte es an diesem Abend auch gar nicht.

Denn Fuzzman traf den Nagel auf den Kopf, als er bei einer seiner köstlichen Zwischenansagen meinte: „Wir spielen nur die Hits“. Tatsächlich kann Zamernik inzwischen auf eine stolze Anzahl von kleineren und größeren (Alternativ-)Radiohits zurückblicken. Den jüngsten von ihnen, die lässige Westernhymne „Für eine Handvoll Gras“, gab es gleich als zweiten Song des Abends, natürlich garniert mit beseeltem Chorgesang. Auf Platte wurde die Nummer übrigens mit dem Männergesangsverein Obermillstatt aufgenommen – den man auf FM4 sonst wohl auch nicht alle Tage zu hören bekommt …

Genauso gut, genauso eingängig: „Dr. Feelbetter“ („Ich sag hey, ich sag ho“), mit dem für einen Schlager eher ungewöhnlichen Refrain „Ach, hab mich gern / nein, ich brauche deine Liebe nicht / und schon gar kein System / komm, schieb’s dir irgendwo hin“; der Tearjerker „Leb Wohl Cherie“, vorgetragen mit ganz viel Hall auf der Stimme, jeder Menge „aaaahs“ und „uuuuuhs“ und gebeserltem Schlagzeug; und natürlich das grandiose „Spiel mir das Lied von der Liebe“, in dem Fuzzmans Auffassung von Schlager mustergültig zum Tragen kommt.

Da treffen schwelgerische, lupenreine Schlagerharmonien (die auch im österreichischen Regionalradio unbemerkt durchgehen würden) auf hintersinnige, ja hinterfotzige Textpassagen über Todessehnsucht und ersaufende Liebesengel. „Wenn man gar nichts mehr will und schon gar nichts mehr tut / kommt ein Armleuchter her und schreit: Liiiebeee“ …

Dazu gab’s in Innsbruck eine Vielzahl an Neuentdeckungen: etwa den brandneuen, menschenfeindlichen Synthie-Schlager „Die Sonne und das Glück“ („Wenn dir schon mal die Sonne aus dem Arsch scheint / sei doch so nett und zieh dir eine Hose an“); oder das fantastische „Totenglocken klingen anders“, das an einen schmierigen, aber umso verwegeneren Spaghettiwestern denken lässt („Hört ihr die Glocken im Wind / oh Santa Maria?“); oder das höchst Heiratsschwindler-taugliche, schäbig-soulige „Sexy Signale“, bei dem sich der weißgewandete Fuzzman sogar unters Zuschauervolk mischte, um seine sexy Signale auszusenden und die alles entscheidende Frage zu stellen: „Willst du sexy sein mit mir?“

Als Kontrastprogramm servierte die Band zwischendurch „Haltet Abstand“, Fuzzmans ätzende Abrechnung „mit allen Trumps und Hofers dieser Welt“, wie er in der Anmoderation meinte. Den radikalen Politkracher gab’s gleich in zwei Versionen um die Ohren: zuerst in einer zornigen, lärmigen, ins Megaphon gebrüllten Hardcore-Variante, von der höchstens Textfetzen zu verstehen waren (wobei das laut Fuzzman nur damit zu tun hatte, „dass die Kärntner und Tiroler Mundart so verschieden sind“); und danach in einer, musikalisch gesehen, etwas gemütlicheren Variation, in der die Abscheu gegen all die „braungebrannten Gesichter“ dafür umso deutlicher zu hören war: „Gibt’s denn nicht irgendwo ein Loch für euren Scheiß?“

Ja, der „Futzmann“, wie sich Zamernik selbst bisweilen ausspricht, konnte es sich sogar leisten, auf frühe Hits wie „Morning Show“ (das auch nicht wirklich ins Programm gepasst hätte) oder das herrliche „Lady Cock & Mr. Bier“ zu verzichten.

Dafür gab es eine erlesene Auswahl an gecovertem Material. Auf Fuzzmans launige Ansage („Spü ma schnö a Coverversion, bevoa die Stimmung total in Oasch geht“) folgte zunächst die wohl irrwitzigste Highspeed-Noise-Variante des Johnny Cash/June Carter-Evergreens „Jackson“, die zwischen Nashville und Villach irgendwo zu haben ist.

Später erklang dann unter anderem der Fernweh-Reißer „Seemann, deine Heimat ist das Meer“, einst (1960) von einer gewissen Lolita (eigentlich Edith Einzinger) bekannt gemacht; sowie eine kongeniale – und für Fuzzmans Auffassung von Schlager wohl auch programmatische – Coverversion von „Melancholie“ aus der Feder der Bambis (1964), einem einflussreichen Moment der österreichischen Popgeschichte, dem unter anderem auch in der eindrucksvollen Oral History „Wienpop“ ein prominenter Platz eingeräumt wird.

Denn „Melancholie“ ist genau einer jener Momente, in denen der Schlager (sich) plötzlich abhebt, in denen hinter scheinbar banalen Worten auf einmal eine tiefe Traurigkeit aufschimmert, etwas Dunkles und Bedrohliches – ähnlich wie im filmischen Schaffen von David Lynch, der bekanntlich gerade mit vermeintlich kitschigen Liedern wie „Blue Velvet“ oder „Candy Colored Clown“ eine besonders verstörende, beängstigende, bewegende oder sphärische Wirkung zu erreichen versteht.

Hier lässt sich gut illustrieren, was der große Dilettant Fritz Ostermayer („Im Sumpf“) einmal sinngemäß über seinen Zugang zur (Pop-)Kultur gesagt hat, nämlich, dass es ihm immer darum gehe, Erhabenes im scheinbar Lächerlichen freizulegen – und zugleich das Lächerliche im scheinbar Erhabenen, in der selbsternannten „großen Kunst“, aufzuzeigen. Und hier landet man fast automatisch beim Schlager.

Stichwort Ostermayer: Fuzzman reiht sich mit seinem aktuellen Schaffen in eine durchaus ansehnliche österreichische Tradition des ernst genommenen, tief- und abgründigen, letztlich knallharten und gnadenlosen Schlagers ein, der vom heimattümelnden Musikantenstadl-/ Schlagerparade-Mief so weit weg ist, wie es nur geht.

Zu nennen ist hier allen voran die österreichische Supergroup Der Scheitel, die in den mittleren Neunzigern heimische Underground-Musiker und Journalisten wie eben Fritz Ostermayer, Christian Schachinger (früher Mitglied bei den „Occidental Blue Harmony Lovers“, heute Musikredakteur beim „Standard“), Christian Fuchs („Fetish 69“, FM4) oder Harald Waiglein („Bomb Circle“) mit erlesenen Gastmusikern wie Tav Falco sowie Mitgliedern von „F.S.K.“, den „Extended Versions“ und „Attwenger“ zusammenführte.

Auf ihrem 1994er-Album „In einem Haus, das Liebe heißt“ beschworen sie, wie „Die Presse“ schrieb, die „radikale Traurigkeit im Schlager“, interpretierten deutschen Schlager im Stil von Nick Cave oder Tom Waits, entdeckten den Wahnsinn in „Wahnsinn“ von Roy Black (bekanntlich nicht unbedingt der glücklichste Mensch) oder suchten und fanden Größe in „Mei potschertes Leb’n“ (1986), dem skurrilen Nummer-eins-Hit des tragischen Boxers Hans Orsolics.

Ostermayer, Fuchs und andere bewährte Kräfte aus dem FM4-Universum spannen die „Scheitel“-Idee Jahre später mindestens genauso überzeugend mit dem Projekt „Neigungsgruppe Sex, Gewalt & gute Laune“ weiter, indem sie Weltnummern von Johnny Cash, Nine Inch Nails, den Babyshambles oder Lana del Rey äußerst stimmig in Richtung tragisches Wienerlied umdeuteten und mit tollen Eigenkompositionen („Polka Dots“) garnierten.

Inhaltlich radikalen Kunstschlager beherrscht auch die Wiener (Elektropop-)Musikerin Eva Jantschitsch vulgo Gustav meisterlich, wenn sie in Hits wie „Rettet die Wale“ (2008) sanft einlullende Harmonien mit provokanten Botschaften kollidieren lässt („Und lasst den Kindern ihre Meinung /oder treibt sie früher ab“) oder sich mit einer Blaskapelle, also quasi dem Feind, zusammentut, um den Schlager in Richtung – tröstlicher – Apokalypse zu treiben: „Macht aus den Städten Schutt und Asche / Ich will nie wieder Sonnenschein / Ein Menschenleben weg genügt nicht / Es müssen Gottesleben sein“.

So etwas nennt man dann wohl subversiv – der Gegner wird mit den eigenen Waffen geschlagen. Zugleich greift hier die entwaffnende Naivität des Schlagers, die totale Anti-Abgeklärtheit, ein Ansatz, wie ihn in Deutschland etwa der unvergleichliche Andreas Dorau perfektioniert hat, der in seinen seltsam berührenden Schlagern weitgehend ironiefrei über Themen wie Flaschenpfand und Leihbibliotheken singt.

Doch nach diesem kleinen Exkurs zurück zu Fuzzman und den Singin‘ Rebels, die sich in Innsbruck als hervorragende Liveband erwiesen („Es groovt immer, aber rockt nie“, meinte Konzertbesucher und Fuzzman-Kenner Mex). Kein Wunder, dass das Publikum für die Musiker eine Bierrunde nach der anderen springen ließ – wofür sich die Band wiederum mit einer Zugabe nach der anderen revanchierte.

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Ganz am Ende stand dann eine „alte Kärntner Weise“, wie Fuzzman erklärte, „wo wir aber nur so tun, als wäre es eine“. Was mit herrlichen Vokalharmonien begann, wurde nach und nach in dissonanten Lärm und angewandte Urschrei-Therapie überführt, so dass am Ende wieder der blanke Wahnsinn regierte. Und nicht nur im Sinne von Roy Black.

Alles in allem ein verdammt lustiger und gleichzeitig erhebender Abend – mit anderen Worten: Beste Unterhaltung und letztlich eines der schönsten Konzerte des Jahres.

PS: Danke für die Fotos an David Obwaller!

PPS: Sorry für den nicht wirklich brandaktuell verfassten Konzertbericht – für 2017 gelobe ich Besserung (und weiß jetzt schon, dass ich scheitern werde).

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