Donau so grau

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 3:
LUDWIG HIRSCH – KOMM, GROSSER SCHWARZER VOGEL (1979)

Nein, leicht verdauliche Kost fürs Autofahrer-„Radio“ ist ein fast siebenminütiges Lied zum Thema Todessehnsucht natürlich nicht. Aber dass sich Ö3 seinerzeit das Verbot auferlegt hat, Ludwig Hirschs nachtschwarzes Chanson „Komm, großer schwarzer Vogel“ nach 22 Uhr zu spielen – aus Angst, dass es die Hörerschaft in den Selbstmord treiben könnte – ist schon eine besonders bizarre Fußnote der österreichischen Popgeschichte.

Die reichlich primitive Vorstellung, dass Menschen wegen eines Liedes (oder eines Films oder eines Computerspiels) Selbstmord begehen (oder Amok laufen oder einen Terroranschlag verüben) würden, mag zwar heute immer noch weit verbreitet sein. Aber dass ein staatliches Radio deswegen ein Sendeverbot verhängt, wäre heute wohl kaum noch vorstellbar.

Wobei: Kaum vorstellbar wäre andererseits auch, dass es ein Lied wie „Komm, großer schwarzer Vogel“ heute überhaupt jemals auf Ö3 schaffen würde, allein schon wegen der wenig formatradiotauglichen Länge und der alles andere als Ö3-Wecker-tauglichen Atmosphäre des Songs. Aber das ist eine andere Geschichte …

Dass sich die Radiomacher gerade wegen dieses Liedes solche Sorgen machten, mag umso bizarrer erscheinen, als es im Werk von Ludwig Hirsch vor morbiden und makabren Songs ja nur so wimmelt. Das Besondere – und besonders Verstörende – am „Schwarzen Vogel“ dürfte wohl gewesen sein, dass dieses Lied nicht nur traurig, sondern auf seltsame Weise zugleich sehr fröhlich ist: Denn es beschreibt die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod, auf eine Welt der neuen Erkenntnisse, der grenzenlosen Freiheit und des Glücks tatsächlich in den strahlendsten Farben, ja geradezu euphorisch:

„I wer‘ singen, i wer‘ loch’n, i wer‘ „des gibt’s ned“ schrei’n / I wer‘ endlich kapieren, i wer‘ glücklich sein!“

Der Tod wird im Text ganz klar als Erlösung beschrieben, als sehnlich erwartete Befreiung vom Schmerz: Dem sinnbildlichen Schwarzen Vogel wird Zucker aufs Fensterbrett gestreut, der Ich-Erzähler bittet ihn darum, ihm mit seinem „feichtn koidn Schnobi“ die „wunde, haaße Stirn“ zu kühlen. Und am Ende, als er den Vogel erblickt, flüstert er nur noch bewundernd: „Mein Gott, wie schön du bist …“ Dazu wird auch die anfangs getragene Musik, ca. ab Minute fünf, regelrecht euphorisch, steigert sich bis zur Ekstase.

Diese Vorstellung mag vielen Menschen, die an Depressionen oder anderen schweren Krankheiten leiden, Angehörige oder Freunde verloren haben und über Selbstmord nachdenken, tatsächlich aus der Seele sprechen.

Dass Ludwig Hirsch, der an Lungenkrebs litt, 2011 selbst aus dem Leben schied, lässt sich beim Hören dieses Liedes natürlich nur schwer ausblenden – von direkten Rückschlüssen vom Leben eines Künstlers auf sein Werk und umgekehrt sollte man aber als Musikhörer aber generell Abstand nehmen. Und bei Ludwig Hirsch ganz besonders: Denn er war vor allem ein Geschichtenerzähler, der, als gelernter Schauspieler, gern in verschiedenste Charaktere schlüpfte, häufig auch als Ich-Erzähler. Mit anderen Worten: Seine Lieder waren nicht zuletzt Rollenspiele – und wohl gerade deshalb so effektiv.

Zum anderen handeln, wie gesagt, sehr viele seiner Lieder direkt oder indirekt vom Tod, sind mal melancholisch, mal schwarzhumorig, mal einfach bitterböse, oft augenzwinkernd makaber – der gebürtige Steirer war eben doch ein echter Wiener. Und stand damit in einer großen schwarzen Tradition, die von Nestroy bis zum unerreichten Georg Kreisler reicht, der 2011 übrigens nur zwei Tage vor Ludwig Hirsch verstarb.

Was man sich als heutiger Hörer wünschen würde: Dass Hirsch – den man zwar eher mit Leonard Cohen als mit Johnny Cash vergleichen könnte – noch lange gelebt und wie Cash seinen Rick Rubin getroffen hätte. Nicht wenige seiner Nummern, speziell aus den 80er Jahren, sind leider zeittypisch hemmungslos überproduziert. Reduziert auf spärliche Arrangements und diese unverwechselbare Sprechgesangsstimme, könnte man sie sich besonders schön und intensiv vorstellen. Aber auch so wird Ludwig Hirsch als sensibler, kritischer und nachdenklicher österreichischer Poet und Liedermacher in Erinnerung bleiben.

Seine Farbe war dabei – Klischee hin oder her – stets dunkelgrau, wie es Hirsch selbst in einem Interview aus dem Jahr 2008 auf den Punkt brachte: „eine Mischung aus dem Blau der Donau und dem schwarzen Wiener Humor.“

Hier noch eine eindrucksvolle, zurückhaltende Livedarbietung des „Schwarzen Vogels“ aus dem Jahr 1993:

Weitere Anspieltipps: Spuck den Schnuller aus, I lieg am Ruck’n, Das Geburtstagsgeschenk, Der Herr Haslinger, Hobellied, Marmor, Stein & Eisen bricht, Schutzengerl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert