Vom Dröhnen der Drohnen. Oder: Männer, die auf Mac-Books starren

Heart of Noise-Festival, Stadtsäle Innsbruck, Tag eins (6. Juni 2014)

Die vierte Auflage des Heart of Noise-Festivals – die erste, die ich zumindest einen Tag lang genießen durfte – widerlegt gleich zwei Annahmen: Erstens: Es gibt in Österreich keine liebevoll kuratierten, alternativen Festivals. (Ein Missstand, auf den Bloggenosse Steff gerne hinweist). Zweitens: In Tirol gibt es überhaupt keine brauchbaren Musikfestivals.

Wahr ist vielmehr: Die Organisatoren des „Heart of Noise 2014“ haben nicht nur ein kompromissloses, forderndes Programm denkbar weit weg vom Festival-Mainstream zusammengestellt (ähnlich wie das Donaufestival in Krems, das bei mir auch schon länger auf der Liste steht), sondern sich auch sonst viel einfallen lassen, um gängige Hör- und Sehgewohnheiten zu durchbrechen.

Das zeigte sich schon beim erstaunlichen Beginn dieses Festivaltages in den Innsbrucker Stadtsälen: Eine ferngesteuerte, leuchtende Quadrocopter-Drohne glitt, einer fliegenden Untertasse gleich, durch den riesigen Raum und schwebte unwirklich im Gegenlicht, untermalt von minutenlangen, magengrubenaufwühlenden Drones aus großen Verstärkerwänden. Der mögliche tiefere Sinn – eine Drohne (engl. drone) wird von einem mächtigen maschinellen Bassbrummen (engl. ebenfalls drone!) begleitet – wurde mir erst jetzt beim Schreiben klar. Aber auch ohne solche hintersinnigen Gedankenspiele war das einfach ein Wahnsinnsauftakt!

Apropos Wahnsinn: Schon bei den ersten Künstlern – dem Produzenten Chris Douglas vulgo Dalglish und dem Visual-Spezialisten Dave Gaskarth – wurde klar: Hier werden keine Gefangenen gemacht. Musik ist beim Heart of Noise-Festival als intensive körperliche Erfahrung zu verstehen, ganz wie es der Titel des Festivals verspricht: Die Lautstärke war ohrenbetäubend, die subsonischen Bassfrequenzen ließen die ganze Magen- und Bauchgegend ungesund vibrieren, ebenso die Stühle unterm Hintern (zu diesem Zeitpunkt war der Stadtsaal noch bestuhlt). Ein Wunder, dass es hier – so weit ich weiß – zu keinen Herzinfarkten (oder zumindest zu spontanen Darmentleerungen) kam …

Chris Douglas aus San Francisco gilt als einer der Vorväter der sogenannten Intelligence Dance Music (IDM), er hat mit einschlägigen Elektronik-Größen wie Autechre, Underground Resistance und Boards of Canada zusammengearbeitet. Die Musik seines Projekts Dalglish wird im Festivalbooklet mit Wörtern wie „labyrinthisch“, „alptraumhaft“ oder „sinister“ beschrieben. Da kann man so stehenlassen. Zu hören war ein kompromissloser Mix aus Doom-Drones, Noise-Schlieren, Interferenzen und anderen Störgeräuschen, Maschinenkreischen und Dissonanzen: Anstrengend? Sicher. Aber auch lohnend, wenn man sich einfach voll darauf einlässt.

Das gilt auch für die atemberaubenden Visuals von Dave Gaskarth, die in Innsbruck ihre Uraufführung erlebten. Wellen, Kreise, Kugeln, Spiralen, menschliche Umrisse, seidig schimmernde Texturen (besonders schön!), verschwommene Bilder kämpfender Körper, Abstraktes und Konkretes: Auch ohne Drogen wurde man sofort voll hineingezogen. Die visuelle Ebene spielt beim Heart of Noise überhaupt eine zentrale, mindestens gleichberechtigte Rolle: Nicht nur, weil es relativ fad ist, wenn man nerdigen Männern dabei zuschaut, wie sie in ihre Mac-Books starren, sondern weil es den Festivalmachern und den Künstlern um eine Rundumerfahrung, sozusagen um ein totales Erlebnis zu gehen scheint.

Wie so was ungefähr klingt (vom Innsbruck-Auftritt ist leider nichts online), zeigt ein hier verfügbarer Dalglish-Mix oder der folgende kurze Ausschnitt vom Roskilde-Festival, bei dem halt diverse Dimensionen (pure Lautstärke, Bass, Visuals) fehlen:

Die Herz-Rhythmus-Störungen, die mich schon einige Tage vor dem Festival geplagt hatten, freuten sich jedenfalls über so viel Zuwendung. Mit einem Herzschrittmacher sollte man sich einen Heart of Noise-Besuch auf jeden Fall zweimal überlegen.

 

Der anschließende Auftritt der Briten Miles Whittaker und Sean Canty alias Demdike Stare fiel  eine Spur weniger ohrenbetäubend aus (oder war ich zu diesem Zeitpunkt schon ein wenig taub?), aber immer noch höchst intensiv: Geboten wurde eine Art Hardcore-Ambient mit radikalen Brüchen, vereinzelten abstrakten Beats, ein paar Noise-Einsprengeln und wild vor sich hin morphenden Visuals. Oder, wie die Veranstalter schreiben: „Umgebungsverdichtung für Leute, die Ambient nicht für etwas halten, das dazu da ist, damit einem beim Bügeln nicht langweilig wird“.

Vor dem nächsten Konzert waren neuerlich schwebende Drohnen im Einsatz, diesmal gleich drei – und an jeder „hing“ ein unbeweglich dastehender Mann im Anzug, mit Strumpfmaske und Rollkoffer. Gleich darauf erschien auf der riesigen Leinwand das grotesk verzerrte, mit einer Art Gesichtserkennungsraster überzogene Antlitz von Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer, die – in bewusst schlechtem Englisch – den berühmten japanischen Avantgarde-Komponisten Ryoji Ikeda ankündigte. Bizarre, einprägsame Bilder, wie man sie wirklich nicht alle Tage sieht.

Die Japaner (um einfach mal ein ganzes riesiges Land über einen Kamm zu scheren ;-)) sind ja für ihre extreme Popkultur bekannt: Auf der einen Seite zuckerlbunter Karaoke-Pop, auf der anderen Seite jede Menge extreme, lärmige Musik aller Sparten: Vom Japanoise-Terroristen Merzbow über Electric Eel Shock bis hin zu den Polysics – die Japaner treiben es einfach immer noch eine Spur weiter.

Das gilt auch für Ryoji Ikeda, der als wichtigster japanischer Medienkünstler und Avantgarde-Komponist der Gegenwart gilt. Er ist sozusagen das Missing Link zwischen wissenschaftlicher Klangforschung, abstrakter Kunstfestival-Musik und der Freude am puren Lärm. Klänge im Grenzbereich zwischen Musik und Geräusch (dem berühmten „weißen Rauschen“).

In Innsbruck präsentierte er sein neuestes multimediales Projekt „Supercodex“: Hier geht es, wie das Festival-Booklet schreibt, ums „Decodieren, Recodieren und Redecodieren“ von Bits und Wellen, um den „neuronalen Funk der Integrale, Differentiale, Tonsignale und Lichtteilchen“. Klingt verkopft, abstrakt, fast mathematisch? Genau – und gerade deshalb atemberaubend.

Gleich zu Beginn gab es Soundexplosionen wie bei einem außer Kontrolle geratenen Silvesterfeuerwerk, danach hatte man den Eindruck, als ob die Maschinen selbst Musik machen. Ikeda ließ die Zahlen lärmen und tanzen: Höhepunkt seiner Performance war tatsächlich ein endloser Raster aus Nullen und Einsen, die über die Leinwand flirren, exakt abgestimmt mit der „Musik“. Die Verschmelzung von Sound und Visuals erreichte hier absolute Perfektion – atemberaubend und futuristisch. So macht sogar mir Mathematik Spaß!

Der Saal war zu diesem Zeitpunkt voll wie nie, Hunderte Besucher zeigten sich sichtlich euphorisiert (die Stühle waren vor dem Konzert kurzerhand entfernt worden, ganz dem sympathisch-ruppigen Gesamteindruck des Festivals entsprechend). Insgesamt war Ikedas gnadenloses Sperrfeuer vielleicht eine Spur zu lang, der Spannungsboden irgendwann ausgereizt, aber dennoch war dieses Konzert etwas Unerhörtes und Sonochniegesehenes. Um noch ein letztes Mal das Booklet zu zitieren: „(…) ein Spektakel aus Licht- und Klangwänden (…), kaum erzählbar, aber erlebbar“. Oder auch, wie Festivalgängerin Sylvia meinte: „Krank, aber geil“.

Wolf Eyes waren für mich danach die einzige Enttäuschung des Festivaltages: Sie servierten eine Art Doom-Metal-Drones, sogar mit Gesang und Gitarre (auf einem Festival wie diesem fast ein Fremdkörper). Das hätte sehr reizvoll sein können – man denke nur daran, welche unglaubliche Sogwirkung etwa die göttlichen Swans mit einer vergleichbaren Herangehensweise erzielen  –, entpuppte sich aber leider als dumpfer, zäher Soundbrei, bei dem keine Details zu unterscheiden waren. Auch das eigenartige, ironisch gemeinte (?) Herumgepose war für meinen Geschmack ziemlich nervig. Oder war ich zu diesem Zeitpunkt einfach schon übersättigt?

Jedenfalls gingen im Laufes dieses vorletzten Konzerts nicht wenige Besucher heim oder gönnten sich zumindest eine lange Rauchpause im Freien. Der Saal war am Ende nicht einmal mehr halb so voll wie bei Ikeda – und die Dramaturgie des Abends leider ein wenig gestört. Aber na gut, man könnte das auch einfach als retardierendes Element vor einem krönenden Abschluss betrachten.

Denn genau dafür sorgte der britische Produzent Bobby Krlic alias The Haxan Cloak: Dunkle Schönheit, düstere Pulsschläge, mystisches Raunen und Flüstern, dazu zwar keine Visuals auf der Leinwand, dafür aber eine atemberaubende, hypnotisierende Lichtshow.

heart of noise haxan cloak eins

Das Highlight für mich war der abschließende Trip „The Drop“ mit seinen synthetischen Totenglöckchen, seinem Pochen, Schaben und Dröhnen (übrigens auch in meinen Jahrescharts für 2013 zu finden). „Die Schönheit ist dem Menschen zumutbar“, lautete das Motto des Heart of Noise Festivals 2014. In diesem Moment war mir klar, was die Veranstalter damit meinen.

Schön auch, dass es für fremdartige Klangwelten wie diese hierzulande durchaus eine Zielgruppe zu geben scheint. Das Publikum war jedenfalls eine äußerst bunte Mischung: Da gab es natürlich die obligatorischen jungen Männer mit Brille und ernsthaftem Aufteten, irgendwo zwischen Mitte 20 und Mitte 30, die allein gekommen waren, weil niemand im Bekanntenkreis ihren seltsamen Musikgeschmack teilt (in diese Kategorie könnte man auch mich einordnen). Vertreten waren ein paar PMK-Stammgäste, aber auch junge Kunststudentinnen mit seltsam-schönen Kleidern und Haarschnitten, aufgeschlossene Elektro-Fans, Industrial-Jünger, bärtige Freaks, Hipster und Drogenfresser.

Besonders bemerkenswert und erfreulich: Im Publikum waren gar nicht so wenige ältere Musikhörer, vermutlich aus der Neue Musik-/Musique concrète-Ecke. Hier gibt es in Tirol ja durchaus eine gewisse Tradition, wenn man an die Klangspuren Schwaz oder das inzwischen offenbar sanft entschlafene Avantgarde Tirol-Festival denkt. Vielleicht wollten die Opas den Jungen auch einfach zeigen, dass sie genauso in der Lage sind, krasse und schräge Klänge auszuhalten – und dass wilde Avantgarde-Musik eine jahrzehntelange Tradition hat.

heart_of_noise_zwei

Ich hätte mir nach dieser bewusstseinserweiternden Grenzerfahrung jedenfalls gerne auch noch die anderen zwei Festivaltage genehmigt (trotz hartnäckigem Tinnitus, auch noch eineinhalb Wochen danach). Aber leider, leider – mehr war zeitlich nicht drin. Über die Auftritte von Emptyset, Moebius & Roedelius, Russell Haswell oder Holly Herndon kann ich also leider nichts erzählen. Dafür ist das Heart of Noise 2015 schon jetzt ein Fixtermin!

Traumhafte Fotos vom ersten Festivaltag gibt es hier, ganz unten sind auch die Fotoalben des restlichen Festivals verlinkt. So – und ich gehe jetzt erstmal eine Runde Beach Boys hören …

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